Der Glaube an einen dritten Weg
von Heidi Jäger
Florian Opitz stellt bei der Ökofilmtour im Filmmuseum seinen Film „Speed“ vor. Er ist eine Suche nach der verlorenen Zeit, nach Zeit für Familie und Freunde
Das Nachdenken begann im Gefängnis. Florian Opitz war Mitte 30, als er sich vor gut fünf Jahren mit seinem Kameramann nach Nigeria begab. Sie wollten in einem Film der Frage nachgehen, warum die Menschen dort so arm sind, obwohl das Land doch über so viel Erdöl verfügt. Bei der Suche nach Protagonisten ließen sie sich von einer Stiftung begleiten. Die war zuvor beim Geheimdienst in Ungnade gefallen – was die deutschen Filmemacher natürlich nicht wussten. „Wir waren zur falschen Zeit am falschen Ort.“ Und so landeten die beiden als Bauernopfer für zweieinhalb Monate in Haft wegen angeblicher Spionage. „Eine Zeit, über das Leben neu nachzudenken“, sagt Florian Opitz.
Ein Jahr nach der Entlassung wurde sein Sohn geboren. Kurz darauf starb sein Vater. Existenzielle Dinge, die bei dem Regisseur und Grimme-Preisträger, der immer unter dem Druck der Freiberuflichkeit den Terminen hinterherjagte, zu einem Umdenken führte. Warum nicht auch einen Film darüber machen: über diesen Geschwindigkeitswahn, in dem für die wirklich wichtigen Dinge wie Freunde und Familie die Zeit nicht mehr zu reichen scheint. Er merkte, dass es keine vorgezogene Midlife-Crisis war. Nein, es ging vielen in seinem Umfeld so, dass sie sich von einem Projekt ins nächste stürzten und immer unzufriedener dabei wurden.
Florian Opitz fand für seinen 2012 gedrehten Film „Speed“, den er am morgigen Donnerstag im Filmmuseum bei der Ökofilmtour vorstellt, Aussteiger, die sich erfolgreich aus dem Hamsterrad befreiten. Da gibt es einen Banker von Liman-Brother, der heute in Wanderhütten einlädt, oder den ehemaligen Chef des Unternehmens „Esprit“, der jetzt nachhaltige Landwirtschaft betreibt. Und Opitz fuhr auch in das kleine Königreich Bhutan, das so groß wie die Schweiz ist und zwischen den boomenden Industrienationen China und Indien auf sein ganz eigenes Glück setzt. „Dort zählt in der Politik nicht als Erstes die Effizienz, das Schneller, Höher, Besser, sondern die Zufriedenheit der Bürger. Dieses Land, das sich erst vor 20 Jahren geöffnet hat, sucht einen Mittelweg.“ Opitz, selbst auf der Suche nach einer gesellschaftlichen Alternative, war fasziniert, dass ein ganzer Staat seine Politik nach den Menschen ausrichtet und nicht nach der Wirtschaft. „Bhutan ist durchaus ein sehr armes Land, aber es gibt keine große Schere zwischen Arm und Reich.“ Als Anfang der 80er Jahre der neue König kam, habe er in einem Interview betont, dass es ihm nicht um das Bruttoinlandsprodukt, sondern um das Brutto-Nationalglück geht. Als Grundelemente des Glücks nannte er Nahrung, Wohnung, kostenlose Bildung, ein Leben im Einklang mit Natur, Kultur und Gemeinschaft. Und die Achtung der Zeit. „Es wird in dieser parlamentarischen Monarchie darauf Wert gelegt, dass die Einwohner ihr Leben in acht Stunden Schlaf, acht Stunden Arbeit und acht Stunden Freizeit einteilen und das nicht durchbrechen“, sagt Opitz begeistert, der sich selbst immer noch oft gehetzt fühlt. Auch der Umweltschutz sei reglementiert. 70 Prozent der Oberfläche muss bewaldet sein. Das steht im Gesetz. Es gibt keinen Massen- und fremdgesteuerten Tourismus. Die Einwohner betreuen ihre Gäste selbst, stellen Unterkunft, Essen, den Guide. Sie finden Arbeit im Tourismus und nutzen die Wasserkraft, sodass sie Strom auch exportieren können. Gibt es gar keine Probleme? Opitz sieht durchaus, dass die jüngere Generation mit anderen Bedürfnissen heranwächst. Sie will Handys, Autos, Fernsehen mit 40 Programmen. Sein Film endet mit der Frage, ob es gelingen wird, den Wunsch nach Modernität mit dem jetzigen Weg zum Glück zu vereinbaren.
„Speed“ sei aber kein Bhutan-Film. „Es ist ein politischer Film, der bei uns die Systemfrage stellt. Gibt es zwischen Kommunismus und Kapitalismus eine Alternative?“ Opitz glaubt daran. Und er sieht bei vielen Menschen ein großes Interesse, darüber ebenfalls nachzudenken. 40 000 Zuschauer haben bereits seinen Film gesehen. Er selbst war bei 50 Veranstaltungen dabei, diskutierte über Sinn und Zweck des Kapitalismus. „Immer wieder ging es darum, ob das jetzige System noch gut für den Menschen ist.“ Opitz möchte daran glauben, dass Deutschland auch ohne Riesenkatastrophe beginnt umzudenken. „Wir sparen ständig Zeit. Trotzdem haben wir am Ende immer weniger davon.“ In „Speed“ begibt sich Opitz auf die Suche nach dieser verlorenen Zeit.
Filmgespräch am Donnerstag, 17. Januar, 20.30 Uhr, Filmmuseum, Breite Straße 1a/Marstall, Karten für 3 Euro unter Tel.: (0331)271810