Wald und Wahrheit
Ökofilmtour startete in Groß Lüben / Experten informierten über Forstwirtschaft in der Prignitz
GROSS LÜBEN - Grüne Lunge und Quell der Erholung – diese Attribute werden dem Wald gemeinhin zugeschrieben. Doch was so unschuldig wie eine Ansammlung hochgewachsener Pflanzen daherkommt, vermag es, lebhafte Debatten, ja, gesellschaftliche Umbrüche zu verursachen. Wie so etwas funktioniert, konnten die Besucher des Startbeitrags der diesjährigen Ökofilmtour in der Prignitz erleben. Als Gastgeber hatte der Förderverein Kirche Groß Lüben in die beheizte Winterkirche eingeladen.

Gezeigt wurde der Dokumentarfilm „Und ewig sterben die Wälder“ von Michael Miersch. Der Autor spürte einem Begriff nach, der in der westlichen Republik während der 1980er Jahre geprägt wurde: das Waldsterben. Miersch zeigte auf, dass sich damals eine Panik breit machte, der Wald könne sich binnen ein paar Jahren ganz aus deutschen Gefilden verabschieden. Umweltverschmutzung und sein daraus resultierender saurer Regen wurden als Verursacher angenommen. Als Beweis dafür galten Schäden, die im Bayerischen Wald, aber auch im Harz entstanden waren.

Um die damalige Stimmung nachzuzeichnen, präsentierte Miersch reichlich Archivmaterial. Letztlich demonstrierte er, dass das Umwelt-Fiasko nur herbeigeredet und -geschrieben wurde, das „Waldsterben“ also eine Fiktion von Politik, Medien und einer Massenpanik war, die sich irgendwann verselbständigte. Miersch ließ Wissenschaftler zu Wort kommen, die rückblickend bescheinigten, dass die Schäden tatsächlich einer zyklischen Trockenheit geschuldet waren.

Die Titelblätter der Hochglanzmagazine überschlugen sich damals aber mit Hiobsbotschaften: Während der Spiegel dem Wald noch fünf Jahre gab, unterbot der Stern seine Mindesthaltbarkeit mit drei Jahren. Auch die FAZ sah „Säuresteppen“ voraus.

Die meisten Zuschauer in Groß Lüben konnten sich ob der gezeigten Bilder zurücklehnen und das Material wie eine ethnologische Studie betrachten, waren sie doch als „Ostbürger“ damals nicht persönlich in die Auseinandersetzungen einbezogen. Und so machte sich ob der bärtigen Demonstranten, die sich mit bemalten Tafeln durch westdeutsche Innenstädte schoben, allgemeine Heiterkeit breit. Einen Höhepunkt bildete in diesem Zusammenhang der Auftritt der Grünen, die Bundeskanzler Kohl beim Einzug ins bundesdeutsche Parlament einen verdorrten Tannenzweig überreichten, gewissermaßen als mahnendes Beispiel für eine verfehlte Umweltpolitik. Der Funke sprang schließlich auch auf die konservativen Parteien über. Die Einführung des Katalysators sowie strengere Umweltschutzauflagen in der Industrie wurden in Gesetze gegossen.

Nach diesem Ausflug in die bundesdeutsche Geschichte stellte sich die Frage, wie es eigentlich um die Wälder in der Prignitz bestellt ist. Veranstalterin Kathleen Awe vom Naturschutzbund (Nabu) hatte dazu zwei Experten eingeladen: Torsten Hennig, beim Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbe-Brandenburg für Flächenmanagement zuständig, sowie Olaf Bergmann vom Landesforstbetrieb. Letzerer erläuterte, dass der Wald im hiesigen Landkreis im Großen und Ganzen gesund sei, lediglich bei einigen Baumarten seien Schädlinge zu beobachten. Als Beispiele nannte er die Eiche, die gebietsweise vom Prozessionsspinner befallen ist. Auch bei den Eschen sei ein Absterben der Triebe zu verzeichnen. Dies sei womöglich extremen klimatischen Bedingungen zuzuschreiben. Mal sei es zu feucht, mal zu kalt. Wenn ein natürlicher Zyklus zu Unzeiten unterbrochen werde, reagiere die Natur empfindlich. Das rufe Gegenspieler auf den Plan, die die Schwäche der Bäume ausnutzten. Zu beachten sei dabei auch, dass sich Insekten rasend schnell reproduzieren, was das schädigende Ereignis um so gravierender ausfallen lasse. „Der Wald wird sich hier auf jeden Fall verändern“, prognostizierte der Forstexperte. Nach und nach würden sich Baumarten durchsetzen, die den derzeitigen klimatischen Bedingungen besser gewachsen sind.

An der Frage, was günstiger sei, den Wald zu bewirtschaften oder ihn mitunter brachliegen zu lassen, schieden sich die Geister. Viele der etwa 40 Gäste schienen selbst Waldbesitzer zu sein. Unbewirtschaftete Wälder begünstigten nur den Schädlingsbefall, gaben die einen zu bedenken. Vertreter des Biosphärenreservats erklärten, dass aus einem sich selbst überlassenen Waldgebiet auch etwas Neues entstehen könne, dass abgestorbenes Holz ökologische Nischen für Tiere und Pflanzen biete, die dort vorher nicht beheimatet waren.

Erörtert wurde aber auch, wie sich die moderne Wirtschaftsweise auf den Wald auswirkt. Sicherlich komme heutzutage schweres Gerät bei der Holzernte zum Einsatz, sagte Bergmann. Doch es gebe eine Rechtssicherheit, dass kein Raubbau an der Natur betrieben werde. Es würden in der Prignitz derzeit nicht so viele Bäume gefällt, wie wieder nachwachsen. „Man muss auch Mut zur Lücke beweisen, damit sich ein Wald gesund entwickeln kann. Nur so entsteht ja ein neuer Lebensraum“, erklärte Bergmann.

(Von Dorothea von Dahlen)