Rene Wernitz

Märkischer Adler ist grau

Strodehne (MZV) (kön) „Ich dachte, Strodehne wäre das Künstlerdorf“, sagt eine junge Frau, und: „Schade, dass unser Haus so ungünstig steht. Sonst würden Sie über eine Photovoltaikanlage nachdenken?“ „Klar“, sie beugt sich zu ihrem Kind, „da hättest du später auch noch was davon.“

An der Havel ist es kühl, der orange farbene Ball sinkt und beendet den bisher wärmsten Tag dieses Jahres. Ein Duft nach frischer Erde und Dung erinnert an eine Zeit, die „öko“ war, ohne dass jemand diesen Begriff gebrauchte. „Eine Anlage auf dem Scheunendach haben wir, aber Solarfelder? Bitte nicht!“, antworten gleich mehrere Bürgerinnen, und: „Zum Glück befinden wir uns im Naturschutzgebiet.“

„Ich müsste mal zählen“, sagt Professor Jürgen Rochlitz, bekannt als Initiator der Bürgerinitiative gegen das Steinkohlekraftwerk Arneburg, „wie viel Strom Strodehne schon erzeugt.“

Immer mehr Besucher finden sich am Freitagabend im Gasthaus Stadt Berlin ein. Die Ökofilmtour Brandenburg ist das längste Filmfestival Deutschlands, erläutert Ernst-Alfred Müller stolz. Drei Monate lang werden in Schulen, Gaststätten und Kinos die von einer Jury vorausgewählten 41 Lang- und acht Kurzfilme gezeigt. Die Preise der Juroren dienen vor allem der Filmförderung, der sich das Festival unter der Schirmherrschaft von Ministerpräsident Matthias Platzeck verschrieben hat. Zuerst wird der Animationskurzfilm „Herr Hoppe und der Atommüll“ gezeigt. Der anschließende Streifen „Energieland“ hat eine besondere Vorgeschichte: Der Konzern Vattenfall fragte an der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“, ob sie einen Imagefilm fürs Unternehmen erstellen könne. Die junge, aber nicht unerfahrene Studentin Johanna Ickert erklärte sich dazu bereit - vorausgesetzt, der Konzern lasse ihr freie Hand.

Zwei Heißluftöfen verströmen etwas Wärme im Gastraum und vor allem den typischen Kohlegeruch. Die Bagger und Tagebaulandschaften dazu werden vom Film geliefert. „Schwarze Pumpe“, Mondlandschaften. Moderne Tanklaster mit dem Schriftzug „Klimaschutz durch Innovation“ bringen das abgeschiedene CO2 nach Ketzin. Eine alte Frau sitzt im Oderbruch an einem gedeckten Kaffeetisch in der guten Stube. „Wir haben hier ein schönes Lied“, sagt sie, „'Steige auf, du roter Adler', aber das stimmt nicht mehr. Der Adler ist grau, und er trägt im Schnabel das Logo von Vattenfall und in seinen Krallen CO2.“

Vattenfall-Mitarbeiter sprechen vom steigenden Energiebedarf, den sie decken werden, und davon, dass die Verpressung alternativlos sei. Sie verteilen Gelder an Feuerwehrhäuser, Schulprojekte und Kinderweihnachtsfeiern und laden in helle, große Räume ein. Die Bürgerinitiativen malen Plakate und stellen sie in Vorgärten und an Straßen, sie arbeiten Teilzeit, um sich daneben für unseren Planeten engagieren zu können, organisieren Informationsveranstaltungen auf dem Marktplatz.

Das geplante CCS-Gesetz, wonach in Deutschland Großanlagen für die Abscheidung und unterirdische Lagerung von Kohlendioxid entstehen dürfen, ist Ende 2011 im Bundesrat gescheitert - gegen die Stimme des brandenburgischen Wirtschaftsministers Ralf Christophers (Die Linke). Die Konzerne Vattenfall und - in der nahen Altmark - RWE warten. Denn nun soll eine Arbeitsgruppe aus Bundes- und Landespolitikern das Für und Wider erneut aufarbeiten. Dabei ließe sich der durch Kohlekraftwerke verursachte CO2-Ausstoß auch anders vermeiden: durch regenerative Stromerzeugung wie Sonnenenergie oder durch Energieeinsparung.

Nach drei Stunden Ökofilmtour und einer wärmenden veganen Gulaschsuppe, zubereitet von Jürgen Rochlitz, tut die Nachtluft gut. Die Gäste, die nur zaghaft den Versammlungsraum verlassen, vermissen weder taghelle Straßenbeleuchtung noch grelle Werbung. Am Himmel über dem Solardorf Strodehne glitzern Tausende Sterne.