Drittmittelhimmel, Drittmittelhölle
Der Energiekonzern Vattenfall bezahlt einen Film – dessen Regisseurin sich gar nicht darüber freut



POTSDAM - Vattenfall nannte es ein „Akzeptanzproblem“. Eine Manager-Formulierung, glatt und verharmlosend. Die andere Seite, die Bürgerinitiativen in Beeskow und im Oderbruch, nennen es Protest und Widerstand, gegen Vattenfalls Pläne, Kohlendioxid unter ihren Gemeinden zu verpressen.

Gegen das „Akzeptanzproblem“ wollte der Energieriese einen „Imagefilm“ stellen – und trat an die Potsdamer Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) mit einem Angebot heran, das die einen dort zukunftsweisend, die anderen unmoralisch nennen: Der Konzern finanziert einen Film. Ein Drittmittelprojekt also, Wirtschaft bezahlt Forschung. So läuft es an vielen Hochschulen, an der HFF aber ist solch eine Zusammenarbeit noch Neuland, auch wenn HFF-Kanzlerin Brigitte Klotz gegenüber der MAZ darauf verweist, dass die Hochschule selbstverständlich fast jeden Film ko-finanzieren lässt – allerdings vom Medienboard Berlin-Brandenburg und von Filmfirmen, nicht von der Industrie.

Der Film ist fertig geworden, morgen wird er zum Auftakt der Ökofilmtour in Potsdam gezeigt. Ein Imagefilm ist „Energieland“ nicht geworden, die Hochschule ließ sich vertraglich zusichern, dass Vattenfall keinen inhaltlichen Einfluss auf die Produktion nehmen durfte. Trotzdem sagt Regisseurin Johanna Ickert: „Ich würde das nie wieder machen.“ Sie fühlt sich in der Drittmittelhölle, sagt: „Geld stiftet Unheil“ und: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“ Was Johanna Ickert damit meint: Sie war von Anfang an eine Gegnerin von Vattenfalls Plänen, sympathisierte mit den Bürgerinitiativen, wollte aber die Förderung durch den Konzern nutzen, um auch an die Vattenfall-Vertreter heranzukommen, auch ihre Seite der Geschichte zu zeigen. „Ich wollte eine vermeintliche Vertrauensbasis aufbauen“, sagt sie. Vor ihrem Regie-Studium an der HFF hat Johanna Ickerts Ethnologie studiert, den Blick hat sie beibehalten. Sie interessiert sich für Milieus, für die Technokraten Vattenfalls mit ihrem gekränkten Ingenieurs-Stolz und für die Aktivisten aus den Dörfern und Kleinstädten Ostbrandenburgs, die Wert darauf legen, dass sie „auch normale Jobs“ haben, Tierärzte, Solaranlagen-Monteure oder Künstler sind.

Ihr geschulter Blick, auch für Stimmungen, verschafft „Energieland“ Einblicke über das tagespolitische Geschehen hinaus. Der Film zeigt das Unbehagen beider Seiten mit der offiziellen Politik. Er stellt die Frage, wie Mitbestimmung in einer parlamentarischen Demokratie möglich und sinnvoll ist. Er zeigt die Hilflosigkeit eines Großkonzerns, der eine Region verändert, gegenüber einer aufgeheizten Stimmung der Menschen dort. Im Vattenfall-Informationszentrum in Beeskow steht eine unsichere Öffentlichkeitsarbeiterin, die zum Thema CO2-Verpressung folgende Sätze parat hat: „Wenn es da unten ist, bleibt es unten. Oder wir pusten es weiter in die Luft, das wäre die Alternative.“ Ihre Kollegin ist ernsthaft entrüstet über die Mitglieder der Bürgerinitiative: „Sie können doch ihren Kindern nicht erzählen, dass CO2 Gift ist?“ Und ein leitender Kraftwerker in Jänschwalde glaubt ohnehin nicht daran, dass der Klimawandel menschengemacht ist: CCS, das wolle nur die Politik.

Das alles bleibt, auch wenn das Thema des Films, der Streit über die CCS-Technologie zur Abscheidung und Speicherung des Klimakillers Kohlendioxid, fast schon historisch zu nennen ist. Die Technologie, die es Vattenfall ermöglichen sollte, seine Braunkohlekraftwerke in der Lausitz mit weniger CO2-Ausstoß weiterzubetreiben, ist vorerst gescheitert. Der Bundesrat lehnte im vergangenen September ein CCS-Gesetz ab, mit dieser Sitzung endet der Film. Im Dezember beendete Vattenfall dann sein Pilotprojekt in Jänschwalde. An der Braunkohle wollen Land und Konzern dennoch festhalten.

Die 29-jährige Regisseurin könnte also froh sein, dass ihr Film jetzt fertig geworden ist, dass er auf Festivals lief und jetzt auf die Ökofilmtour läuft. Und natürlich ist sie das auch, nennt es „ein kleines Wunder, dass der Film fertig geworden ist“. Die Hochschule hätte es gerne, dass sie sich auch über das Projekt als Ganzes freut, aber das kann Johanna Ickert nicht. Wie sie sich fühlt, schildert sie rücksichtslos: „Ich habe mich hergegeben für dieses Projekt, um jetzt mit Scheißekübeln übergossen dazustehen.“

Denn Vattenfall hat zwar keinen Einfluss auf den Inhalt des Films genommen, aber natürlich ist „Energieland“ ein Erfolg für den Konzern – weil Vattenfall darauf verweisen kann, wie vorbildlich man die Kunst- und Meinungsfreiheit respektiere. Kein richtiges Leben im falschen also? Wohl nicht. Immerhin aber kommen heute zur Diskussion nach der Aufführung Vertreter beider Seiten. Sonst sitzen Vattenfall und Bürgerinitiativen nicht mehr auf einem Podium. (Von Jan Sternberg)

„Energieland“ läuft heute zum Auftakt der Ökofilmtour: 18 Uhr, Filmmuseum, Breite Str. 1, Potsdam. Weitere Termine: www.oekofilmtour.de