Conrad Menzel
Der Wurm am Hintern des Dinosauriers

Das Filmmuseum Potsdam zeigt den von Vattenfall finanzierten Film "Energieland". In der anschließenden Diskussion reden Podiumsgäste und Zuschauer aneinander vorbei

Im ausverkauften Kinosaal des Filmmuseums Potsdam hängen Protestschilder an den Wänden, „CO2-Endlager stoppen“. Ein Hampelmann mit Platzeck-Konterfei lehnt zwischen zwei Stühlen, am Bühnenrand steht ein gelbes Holzkreuz. Die Brandenburger Ökofilmtour zeigt an diesem Abend den Film Energieland.
Energieland erzählt von der Technologie CCS, die Vattenfall als Klimaschutzbeitrag verkauft und von Brandenburger Bürgerinitiativen, die seit Jahren dagegen protestieren. Mittels CCS (Carbon Capture and Storage) soll Kohlenstoffdioxid aus industriellen Prozessen abgeschieden und in tiefen, Salzwasser führenden Schichten (saline Aquifere) unter vornehmlich norddeutschen Äckern gespeichert werden. Für die protestierenden Brandenburger ist das eine lebensverlängernde Maßnahme der Kohlestromgewinnung, deren langfristige Risiken offen sind.
Vor Filmbeginn stellt die Moderatorin die Teilnehmer der anschließenden Diskussion vor: die Regisseurin Johanna Ickert, die Brandenburger Umweltministerin Anita Tack (Die Linke), Greenpeace-Mitbegründerin Monika Griefahn. Außerdem sind gekommen: Ulf-Michael Stumpe von der Bürgerinitiative Co2ntra Endlager, der Applaus erntet und Dr. Wolfgang Rolland von Vattenfall, bedacht mit einem hämischen Klatscher. Das Publikum ist schon polarisiert, bevor es losgeht.

Der dritte Blick
Film ab. Eine Vattenfall-Sprecherin verteidigt darin die unterirdische CO2-Lagerung mit den Worten, das sei ja dann weg, das Kohlendioxid. „Wir können es auch weiter in die Luft pusten“, bietet sie an. Auf die Frage, ob er sich vorstellen könne, warum die Menschen in den potenziellen Speicherregionen betroffen reagierten, antwortet der CCS-Verantwortliche Rolland: „Gute Frage! Ich hab mir einfach noch nie ’nen Kopf darüber gemacht.“ Einer seiner Männer erklärt es im Film unfreiwillig. An einem CCS-Modell pumpt er mit einem Blasebalg Luft in saline Aquiferen, die sogleich wieder entweicht. Die Brandenburger befürchten die Risiken eines Gasaustritts. Der Aktivist Ulf-Michael Stumpe bezeichnet den Protest als "Wurm am Hintern des Dinosauriers Kohle". Der Wurm „juckt und juckt“, bis der Dinosaurier schließlich durchdrehe.
Interessant ist die Geschichte zum Film, von der die Regisseurin im Anschluss erzählt. Vattenfall sei an die Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolff (HFF) in Potsdam herangetreten, um einen Film zu finanzieren, der das CCS-Akzeptanzproblem in den potenziellen Speicherregionen lösen sollte. „Mir war von Anfang an klar, dass das ein Greenwashing-Versuch allerbester Güte sein muss“, sagt Ickert und erklärte sich unter der Maßgabe, dass es keine Zensur oder Abnahme geben dürfe, bereit, den Film zu machen. Vattenfall wollte einen „Blick von Dritten“, behauptet Rolland.
Und weil es für Vattenfall womöglich keinen Rückzug ohne öffentliche Diskussion über Versuche der Einflussnahme gegeben hätte, hat der Stromkonzern nun diesen „Blick von Dritten“. Die Moderatorin kommt dann auf das Thema „Drittmittelhölle“ an Universitäten: Sie weiß, Filme müssen finanziert werden, aber die künstliche Freiheit muss gewährleistet bleiben.
Als Ickert von der HFF berichtet, dass es tatsächlich zu keiner Zensur, aber zu Formen der indirekten Einflussnahme gekommen sei, wird Rolland unruhig. Doch Ickert berichtet nur, dass sie „von Seiten der Bürgerinitiativen unter Trojaner-Verdacht gestanden“ habe. Skepsis an seinem vermeintlich unabhängigen Blick beschwört Rolland anschließend selbst herauf, indem er wiederholt: „Es gibt nicht eine einzige Einflussnahme unserer Seite.“ Gute Vorlage: "Sie sind ja auch nicht der Bundespräsident“, ruft jemand aus dem Publikum. Offenbar sind die Leute gar nicht hier, um über die Verquickung von Wirtschaft und Lehre zu sprechen.
Die Bundesratssitzung, bei der das CCS-Gesetz als Entwicklungsgrundlage für Vattenfall im vergangenen Jahr abgewiesen wurde, ist im Film zu sehen. „Dieses Projekt ist vollständig beendet“, sagt Rolland in Potsdam, nicht ohne zu relativieren, dass es in Deutschland „auf absehbare Zeit“ kein CCS geben wird. Während die Bemühungen hierzulande nur gestoppt wurden, hat Österreich CCS gänzlich verboten. Was er mit seinem Nachsatz meint, lässt Rolland offen. Ansonsten ist der Vattenfall-Mann an diesem Abend damit beschäftigt, den Kohlestaub von der Vattenfall-Weste zu klopfen.
Greenwashing.

Nicht Empathie, sondern Profit
Anita Tack hingegen versucht sich in Kosmetik an der Linken-Politik der vergangenen Jahre in Sachen CCS. Sie zieht Stumpes Zorn auf sich, als sie den Schulterschluss mit den Bürgerinitiativen sucht. Politik und Bürgerinitiativen, das passt auch hier nicht richtig zusammen. Eigentlich habe er sich vorgenommen, das Podium zu verlassen, wenn Politiker die Initiativen vereinnahmten und behaupteten, „da ham wa aber ma schön Demokratie jemacht“. Er blieb.
'Ich hätte da eine Frage,...', so beginnen die meisten Wortmeldungen aus dem Publikum. Echte Fragen werden allerdings kaum gestellt. Die Leute wollen vielmehr erzählen, von sich und ihrer Betroffenheit. Hier zeigt sich das Problem. Die Ebenen, auf denen die Widersacher, Vattenfall und Bürger, kommunizieren, liegen weit auseinander. Auf der einen Seite stehen der Konzern und seine Verteter, deren Währung nicht Empathie, sondern Profit ist. Auf der anderen Seite stehen die Bürger und ihre Ängste, künftig auf CO2-Blasen wohnen zu müssen. Kalkül trifft auf erhitze Gemüter, eine Konzernstrategie auf die Sorgen der Menschen - aber beide können sich nicht treffen.
Die Diskussion an diesem Abend bewahrheitet einen in diesem Zusammenhang makaberen Satz, der im Film fällt: „Es ist schwierig, mit Gänsen über Weihnachten zu reden.“ Vor allem, wenn am Essenstisch die ignoranten Herren von Vattenfall sitzen, wie Rolland im Film beweist. Für Außenstehende scheint es, als hätte in dieser Debatte jemand gefehlt, der im CCS-Streit als Mediator zwischen den Positionen fungieren könnte. Als ein Mann aus dem Publikum zu einer Frage anhebt, die in eine Erzählung über die Anti-Atomkraftbewegung im Westberlin der 70er Jahre ausartet, stützt die Regisseurin auf dem Podium die Ellenbogen auf den Tisch und den Kopf in die Hände. Zeit zu gehen. Dass auch Zeit ist für ein generelles CCS-Verbot zeigt Energieland deutlicher als die Diskussion an diesem Abend.